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Es war einmal eine alte Frau. Sie war eine alte, runzelige weißhaarige Frau. Früher war sie noch größer, aber als ihre Kinder erwachsen waren, ihr Mann gestorben war, und sie alleine in ihrer alten Hütte lebte, wurde sie etwas kleiner und gebückter. Ihr silberweißes Haar hatte sie stets zu einem feinen Knoten gewunden und mit einer Wurzel hochgesteckt und ihre fröhlichen Augen lächelten zwischen ihren tiefen Falten hervor. Sie redete nicht viel, außer sie saß am Feuer. Dann erzählte sie von magischen Trommeln, von Vögeln, von samtigen Pfoten, von Sternen in weiter Ferne und sie summte Lieder vor sich hin, deren Text keiner jemals verstand. Die Melodie war jedoch eine ganz eigene. Es war die Melodie ihrer Ahnen. Immer wenn man von weitem diese eine Melodie hörte, wusste jeder im Dorf, dass sie wieder hoch oben war am Berg und sie gebückt über den Wiesen und Matten saß. Mit ihrer alten verbeulten Kupferschaufel saß sie da tagelang. Sie summte und schaute in den Himmel und es war so, als würde sie mit den Pflanzen rund um sich reden und verhandeln. Die Alten im Dorfen wussten um dieses Treiben und wunderten sich nicht. Die alte Wurzelfrau verhandelte wieder mal mit den Pflanzen. Welche Wurzeln würde sie heuer in diesem Herbst und Frühwinter heben dürfen? Sie war eine besondere Frau. Sie grub nicht einfach Wurzeln, weil jedermann und manch Frau sie brauchte. Sie fragte wohl, welche Wurzel von der hohen Bergwiese mit ihr ins Tal kommen würde. Welche Wurzel würde sich opfern und welche Pflanze dafür ihr Leben lassen wollen? Tagelang summte sie, pfiff sie auf ihrer Flöte, saß auf der Erde und oft sah man, wie sie ewig und noch einmal ihre Hände auf die Erde legte. Dabei schloss sie ihre Augen, ihr Gesicht lachte weiter. Manchmal war sie wie verschwunden, so nah war sie der Erde, war mit ihr scheinbar verschmolzen. Sie streute Mehl in den Wind, goss Wasser zu den verschiedenen Pflanzen und verbrannte Wacholderholz. Die Leute unten im Dorf warteten oft tagelang, und waren gespannt, welche Wurzeln sie denn heuer wieder mitbringen würde. Jedes Jahr waren es andere Wurzeln. Manchmal brachte sie ein großes Bündel mit herunter vom Berg, die alte Wurzelfrau, manchmal waren es nur kleine feine Würzelchen, kaum zu sehen. Graben hat man sie nie gesehen die alte Wurzelfrau. Man munkelte, dass sie es spät des Nachts tat. Dieses Graben und Schürfen. Das Schürfen konnte man in klaren Nächten manchmal bis weit ins Tal hinein hören. Die kleinen unschuldigen Kinder hörten sogar, wenn sie mit den bloßen Fingern grub. Die Angelikawurzel, die Bibernelle, die Blutwurz, die Meisterwurz, die Bärwurz und den Eibisch. Wenn sie Schlehenwurzel grub, dann donnerte es meist ganz grimmig, und alle beteten im Dorf, dass sie bald mit dem Schlehenwurzgraben aufhören möge. Das war oft ganz grimmig, denn vor lauter Neugier sahen die Bewohner des Dorfes dann rauf auf den Berg und fürchteten um die alte Wurzelfrau. Sie beteten, dass der Donner sie verschonen möge. Und mancher sah von weitem ihren Buckel, … aber solange er sich bewegte, wusste man, dass sie fleißig am Graben war. Meist folgte die Alte dem Ruf des Herbstmondes. Einen Tag bevor er voll war, packte die Alte ihr bescheidenes Bündel und machte sich barfuss auf den Weg, hinauf in die Wände. Keiner kam ihr zu nah, wenn sie ihrer Wege ging, denn sie war am ganzen Körper mit Bärenfett eingeschmiert und gesagt hätte sie sowieso nichts. Höchstens gesummt und gebrummt. Denn so ein altes Wurzelweib musste klar sein, wenn sie zu ihren Verhandlungen ging. Wenn sie bat, die Pflanzengeister, um ihre Wurzeln, wenn sie hineinsang die eine oder andere Angelika in den Tod, wenn sie rang um die Wurzel einer uralten Blutwurz im Hochmoor. Das war die alte Wurzelfrau. Mit ihren Wurzeln machte sie kaum Geschäfte, die bekamen nur die, die sie wirklich erkannten. Nur die, die in der Lage waren, ihr Übel selbst an der Wurzel zu erkennen, denen gab sie von den Wurzeln des Lebens. Sie sang sie dem Kranken meist in die Hände und blinzelte ihm zu. Das genügte wohl und nicht selten sprang der Kranke dann auf und hüpfte mit der Wurzel fröhlich ins Tal und es ward, als hätte ihn das Leben selbst geküsst.

Monika Rosenstatter 27.9.2020

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