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Immer wieder diese Warzen. Fast in jedem Ort wohnte hier und da ein alte „Anwenderin“. Das waren jene weisen Weiber, welche bei Groß und Klein die Warzen an Finger, Zeh und Bein verschwinden ließen. Das waren oft ganz schrullige alte Damen. Manche hatten selber eine Warze im Gesicht, meist am Kinn und mit Barthaaren drauf, aber das störte sie nicht weiters. Das war das Zeichen, an dem man eine echte Anwenderin erkannte. Wer es wusste, blickte bloß nicht auf diese Warze im Gesicht, denn das brachte bekanntlich 100 und noch mehr Warzen, als man eh schon hatte. Nun gut, da war eine alte Weise, sie wohnten in einem alten verfallenen Landhaus an einem Bach nahe des alten Fichtenwaldes. Der Bach war bekannt, es war der „Krotbach“. Er hatte seinen Namen daher, weil im Frühling hier hunderte und tausende von Kröten ihre Wanderung antraten und oft ein wahres Gemetzel stattfand. War ja gleich die Straße ums Eck und dieser fielen jährlich viele der Kröten zum Opfer. Die alte „Kroterin“ wie man sie im Dorf nannte, war die Hüterin der Kröten. Manchmal wurden ihr die Autos zu viel und dann ließ sie einfach ein paar Bäume über die Straße fallen, so ganz zufällig vom Wind umblasen, sodass kein Auto mehr die Krötenstrasse passieren konnte.

Die „Kroterin“, die Hüterin der Kröten. Sie hütete aber noch ein ganz anderes Geheimnis. Sie wusste um die Rinde des Krötenhautbaumes. Der Krötenhautbaum trug auf seiner Rinde die Krötenhautwarzlinge. Das waren ganz grauslige unansehnliche, schwarze, warzenähnliche Gebilde. Oh ja. Sie hat mir damals den Baum gezeigt. Ein wahrlich unappetitlicher Anblick. All diese schwarzen Warzen auf der Baumrinde. Und wenn man sie berührte, war man schwarz vom Pulver, vom Sporenstaub, den die Krötenhautwarzlinge absonderten. Immer zu Neumond im Skorpion ging die alte Kroterin in den Wald zu den Krötenhautbäumen. Manchmal lagen sie quer über dem Weg. Es war ja so, dass nur sie den Blick für diesen Baum hatte, alle andern im Dorf sahen diesen Baum nicht. Er war zu schwarz, zu dunkel, zu geheimnisvoll. Nur das Auge der Schatten konnte diesen Baum erkennen. Und die alte „Kroterin“ hatte dieses Auge. Es führte sie zu den größten Krötenhautbäumen und dort sammelte sie dann die schwarzen Krötenhautwarzlinge ab. Steckte jeden Warzling in ein Stoffsackerl. Das Stoffsackerl war aus schwarzem Samt. Und dieses Stoffsackerl konnte so viele Krötenhautwarzlinge fassen, das glaubte man kaum. Manchmal waren es abertausende. Na ja, … so viele, wie halt Warzen auf den Fingern und Zehen, und Gebeinen der Menschen anhafteten. Und manchmal waren sie ganz schön schattig diese Krötenhautwarzlinge, die sie vom Baum absammelte. Atmen und Sprechen durfte man beim Absammeln nicht, denn das hätte die ganze Wirkkraft zerstört. Wie ihren Augapfel hütete die alte „Kroterin“ das Sackerl mit den Krötenhautwarzlingen. Es war nämlich so. Wenn wieder mal eine Mutter mit ihrem Kind und den dazugehörigen Warzen zu ihr kam, dann zählte sie zuerst mal die Warzen. Beim Zählen kratzte sie sich manchmal an ihrer eigenen Warze, die mit den Barthaaren im Gesicht, und sie machte pro Warze einen Strich auf ihren alten vergammelten Zettel. Damit sie den Überblick nicht verlor, so erzählte man es mir. So war es denn, dass es manchmal 3, aber auch manchmal 15 Warzen und mehr waren, welche in die andere Welt geschickt werden sollten. Pro Warze nahm sie einen Krötenhautwarzling aus ihrem samtigen Sack. Für jede Warze am Finger, ein Krötenhautwarzling. Für jede Warze am Bein, ein Krötenhautwarzling. Und so weiter und so fort … hatte sie die richtige Anzahl herausgezählt, dann kamen sie allesamt in eine leere Nussschale. Sie tropfte Wachs darüber. Zuerst schwarzes, dann rotes, dann weißes Wachs. Bis die schwarzen Krötenhautwarzlinge in der Nussschale ganz mit Wachs versiegelt waren, solange tropfte sie Wachs darüber. Die Kinder fanden das allesamt sehr interessant. Die versiegelte Nussschale gab sie dann dem Kind. Das Kind oder manchmal auch die Mutter oder halt der, der an den Warzen litt, musste sodann am 13. des folgenden Monats in den Wald gehen. Gut war es, wenn ein Bach da war, denn das Nusswarzenschiffchen musste aufs Wasser gesetzt werden. Der Bach trug die Warzen allesamt zurück in ihre Heimat. Das war dort im Schattenwald. Weit, weit weg. Kinder durften dem Nusswarzenschiffchen winken. Erwachsene nicht. Sie durften sich nicht mal danach umdrehen. Dann ging man den Weg nach Hause zurück, legte der alten „Kroterin“ ein Stück Apfelkuchen vor die Tür und es war ganz komisch. Die Warzen waren aus dem Sinn, aus dem Aug und weg. Niemand erinnerte sich jemals seiner Warzen. Nur die alte „Kroterin“ wusste um jede einzelne Warze und ihre Geschichte. Und die Geschichten hinter den Warzen waren oft ganz wundersame.

Monika Rosenstatter 28.9.2020

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